Bibers Musik geriet im 18. und 19. Jahrhundert niemals völlig in Vergessenheit, vor allem deshalb, weil sie als ungemein schwierig galt. Charles Burney schrieb 1789, dass ‘unter allen Violinspielern des letzten Jahrhunderts Biber scheinbar der Beste gewesen ist, und seine Solos zählen zur schwierigsten und einfallsreichsten Musik, die ich aus dieser Zeit kenne’. Burneys Kenntnis der Musik Bibers scheint sich auf die im Druck veröffentlichten Sonatae violino solo (1681) zu beschränken. Diese Sammlung verlangt vom Spieler bedeutende technische Fähigkeiten und spielt mit zahlreichen Kunstmitteln, obwohl Scordatura (das absichtliche Verstimmen der Violine) nur in zwei dieser Sonaten vorkommt und relativ sparsam eingesetzt wird. Burney wäre von Bibers Musik sicher noch beeindruckter gewesen, wenn ihm die 15 Mysterien- oder Rosenkranz-Sonaten bekannt gewesen wären, in denen 14 verschiedene Scordatura-Umstimmungen aus-geschöpft werden. Diese Sammlung ist heute Bibers bekanntestes Werk, obwohl sie zu seinen Lebzeiten niemals gedruckt wurde und bis zu ihrer erstmaligen Veröffentlichung im Jahr 1905 völlig unbekannt war.
Die 15 ‘Mysterien’ oder Meditationen über das Leben Christi und der Jungfrau Maria sind in drei Zyklen von je fünf Sonaten für Violine unterteilt. Die Freudenhaften Mysterien beruhen auf Episoden aus dem frühen Leben Christi, von der Verkündigung bis zur Darstellung im Tempel, die Schmerzhaften Mysterien behandeln Episoden aus dem Leiden Christi, vom Leiden am Ölberg bis zur Kreuzigung; und die Glorreichen Mysterien führen die Geschichte fort, von der Auferstehung bis zu Mariä Himmelfahrt und der Krönung der Jungfrau Maria. Der Zyklus wurde in den traditionellen Rosenkranzandachten im September oder Oktober verwendet, bei denen die Gemeinde um einen Zyklus strategisch aufgestellter Gemälde oder Skulpturen in einer Kirche oder einem anderen Gebäude herumzog. An jeder ‘Station’ (vergleichbar mit den bekannteren Kreuzwegstationen) wurde eine Reihe von Gebeten gesprochen und auf die Perlen des Rosenkranzes bezogen—daher der alternative Name ‘Rosenkranz-Sonaten’. Die Gemeinde lauschte dabei auch passenden Bibelstellen und Kommentaren sowie vermutlich Bibers musikalischen Auslegungen. Wie Biber in seiner Widmung erwähnt, war Max Gandolph sehr für diese Rosenkranzandachten und unterstützte eine Bruderschaft des Rosenkranzes in Salzburg. Laut Davitt Moroney sind die von dieser Gemeinschaft verwendeten Räumlich-keiten erhalten geblieben und an den Wänden hängen Gemälde der Mysterien. Wahrscheinlich wurden Bibers Sonaten in diesem Gebäude zum ersten Mal aufgeführt.